Situation an den Schaltern

Verkaufspersonal nimmt Stellung

Am SBB-Schalter werden immer mehr Produkte angeboten. Das bringt gewisse Probleme mit sich.

Kolleg/innen, die auf verschiedenen Bahnhöfen in allen Landesteilen im Verkauf arbeiten, haben Fragen von kontakt.sev unter dem Schutz der Anonymität spontan beantwortet. Ihre unverblümten Stellungnahmen zeugen von einem gewissen Malaise, aber auch von Begeisterung für den Verkaufsberuf.

Vor einigen Jahren ging man an den Bahnschalter, um ein Zugbillett oder ein Abonnement zu kaufen. Heute geht man auch zum Billettschalter für Veranstaltungstickets, um Geld ins Ausland zu schicken, für den Geldwechsel usw. Was hältst du von dieser Entwicklung?

  • Die verstärkte Diversifikation ist nicht unbedingt negativ. Der Geldwechsel, die Überweisungen mit Western Union und so weiter ermöglichen den Erhalt von Arbeitsplätzen. Aber … mit der Vielzahl neuer Produkte hält die Weiterbildung nicht Schritt. Das Verkaufspersonal wird oft vor vollendete Tatsachen gestellt und muss sich in Anwesenheit von Kunden mit neuen Produkten vertraut machen! In den meisten Fällen fehlt uns die Möglichkeit zur Ausbildung. «E-Tutor» ist nicht wirklich eine Alternative, denn die Fragen sind oft falsch übersetzt und reine Theorie.
  • Da das Kerngeschäft der SBB – Billette national und international – praktisch keinen Gewinn mehr abwirft, vor allem international, versucht die SBB, Geld mit sogenannten Drittgeschäften zu erwirtschaften. Dagegen ist meinerseits nichts einzuwenden. Dasselbe wird auch von anderen Firmen wie der Post oder Valora praktiziert.

Findest du, dass das Verkaufspersonal der SBB genügend Zeit erhält, um sich mit den neuen Angeboten am Schalter vertraut zu machen?

  • Auf den Bahnhöfen in der Fläche ist dafür weniger Zeit vorhanden, da die Mitarbeitenden meistens oder zumindest während eines Grossteils der Tour alleine arbeiten.
  • Klar nein! Zudem ist die Selbstausbildung mittels ETutor (oder Intranet/Infoportal) nicht einheitlich geregelt. Es gibt Dienststellen, die für die Weiterbildung Zeit vorsehen, und andere, die dies nicht tun. In meinem Fall erfolgt die Weiterbildung am Schalter zwischen zwei Kunden.

Manchmal warten viele Kundinnen und Kunden darauf, am Schalter bedient zu werden. Ist das Verkaufspersonal der SBB genügend ausgebildet im Umgang mit solchen Stresssituationen?

  • Im Prinzip gibt es Kurse zum Umgang mit Stress. Aber auch mit Kursen ist dieser Stress auf Dauer nicht auszuhalten. Sich von morgens bis abends beschimpfen zu lassen, dem hält auch der kräftigste Charakter nicht stand. Dazu kommen die unaufhörlichen Warteschlangen, die man irgendwie bewältigen muss. Was auch Stress hervorrufen kann, ist, wenn man den Schalter allein schliessen muss, denn in diesen Fällen ist die Sicherheit des Personals nicht gewährleistet. Der Stress und seine Folgen müssten auch bei Gesprächen zwischen der Leitung und dem Verkaufspersonal thematisiert werden. Auf dem Spiel steht die Gesundheit der Mitarbeitenden. Wie hoch ist die Burn-out-Quote beim Verkaufspersonal? Niemand weiss es. Zurzeit fehlt es zudem noch an Unterstützung, wenn es bei Geldüberweisungen mit Western Union zu Streitfällen kommt. Dem technischen Aspekt wird mehr Beachtung geschenkt als dem menschlichen Aspekt, obwohl Letzterer dafür entscheidend ist, ob der/die Verkaufsangestellte die Überweisung vornimmt oder nicht.
  • Im Bereich Aus- und Weiterbildung werden auch Kurse angeboten, in denen man lernen kann, mit dem Stress am Arbeitsplatz besser umzugehen. Es ist uns erlaubt, nur auf den Kunden einzugehen, der gerade von uns bedient wird. Wie viele Leute dahinter noch warten, darf uns egal sein. Logisch ist auch, dass wir einen Gang höher schalten, wenn sich die Wartezeiten im Info-Center erhöhen. Ich selbst habe damit kein Problem. Ich sage mir, die Kunden, die dahinter warten, sollen einfach früher aufstehen, dann sind auch sie früher dran. Zudem gibt es die Selbstbedienungskanäle, wo der Kunde auch zu seinem Billett kommt: Internet, Handy, Billettautomat, Callcenter.

Gibt es Unterschiede zwischen grossen und kleinen Bahnhöfen, was die Arbeitsbedingungen im Verkauf betrifft?

  • Ja. Auf grossen Bahnhöfen ist die Zahl der Mitarbeitenden grösser, sodass es dort einfacher ist, jemanden, der krank wird, zu ersetzen, als auf einem kleinen Bahnhof. Auf kleinen Dienststellen haben wir – zumindest vorderhand noch – mit allen Angeboten zu tun, vom Geldwechsel über den Verkauf nationaler und internationaler Billette bis zur Reiseberatung usw. Die Arbeit ist dort polyvalenter und weniger spezialisiert als auf grossen Dienststellen.
  • Ja es gibt auf jeden Fall Unterschiede zwischen der Arbeit in einem Knotenbahnhof und in der Fläche. Ich arbeitete selbst während elf Monaten auf einem Flächenbahnhof. Daher kenne ich den Unterschied. In der Fläche bist du zum grössten Teil allein im Büro, und du verkaufst das komplette Angebot: Billette Schweiz und international, Change, Reisebüro, Gepäck usw. Im Knoten arbeitest du in einem Bereich und verkaufst nur das entsprechende Angebot.

Gibt es in deiner Region eine Tendenz, die Schalteröffnungszeiten zu reduzieren?

  • Es ist klar, dass wir mit einem dauernden Stellenabbau konfrontiert sind, da die Geschäftsführer (in Knotenbahnhöfen und Fläche) immer neue Dienstorganisationen bringen müssen mit weniger Stellen. Dass dann gelegentlich Öffnungszeiten reduziert werden, ist eine logische Folge davon.

Ist das Verkaufspersonal zufrieden mit den elektronischen Hilfsmitteln (Computer, Drucker, Programme), die ihm die SBB zur Verfügung stellt?

  • Punkto Material gibt es nicht allzu viel zu kritisieren, abgesehen vom Billettdrucker TT4, der nach wie vor sehr eigenwillig ist. Ein anderes Thema ist, wie die Programme laufen. Die Systeme sind oft langsam, und wiederholte Pannen machen uns manchmal das Leben schwer. Auch was die Unterstützung bei Pannen betrifft, gibt es noch grossen Verbesserungsbedarf.

Alberto Cherubini / Fi