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VPT-Branchentagungen (Bus, Bahn & Touristik)

SEV-VPT: Inflation, Personalmangel und Verbesserungsbedarf bei den Arbeitsbedingungen

Am 9. und 16. Mai fanden in Bern die beiden VPT-Versammlungen der Branche Bus und der Branche Bahn und Touristik statt. Über 60 Personen waren an der ersten, rund 50 an der zweiten Versammlung anwesend. Die hohen Lebenshaltungskosten, die Mitgliederwerbung, die letztlich auch wesentlich ist fürs Verhandeln besserer Arbeitsbedingungen, sowie die gewerkschaftlichen Schwerpunkte aus Sicht des SEV-Präsidenten waren die Hauptthemen in beiden Versammlungen.

Zentralpräsident Gilbert D’Alessandro freut sich über die Dynamik des VPT.

In seiner Einleitung gratuliert Gilbert D’Alessandro, VPT-Zentralpräsident, der SEV-Gewerkschaftssekretärin Edith Graf-Litscher zu ihrer Wahl in den Verwaltungsrat der SBB.

Stolz präsentiert Gilbert anschliessend die aktuellen Mitgliederzahlen: 353 haben sich seit Anfang 2023 dem SEV angeschlossen. «Wir sind auch in diesem Jahr stark und so gut unterwegs wie im erfolgreichen letzten Jahr», freut er sich. «Aber wir müssen noch stärker werden!» Denn je mehr Mitglieder der SEV zähle, desto mehr Kraft und Einfluss habe er, um die Arbeitsbedingungen weiter zu verbessern, «wie wir es bei den TPG, den TL und den TPF gesehen haben», verdeutlicht er.

Freudig spricht er über die Gründung einer neuen Sektion in Uri, die innerhalb von einem Jahr von 15 auf 28 Mitglieder angewachsen ist.

Gilbert D’Alessandro zeigt sich besorgt über den Anstieg der Lebenshaltungskosten, die wohl zu einem heissen Lohnherbst führen werden. «Wir verdienen den vollen Teuerungsausgleich – je mehr wir sind, desto mehr wird man auf uns hören», betont er.

An der Bustagung bringt er die nötigen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen ein: Dass Dienstschichten nicht länger als 10 Stunden dauern sollen, ist noch nicht überall zur Norm geworden. Was den Übergang zwischen Dienstschichten betrifft, wird die Zeit für den Heimweg und die Ruhe zu Hause zu wenig berücksichtigt. Um den Fahrerinnen und Fahrern angemessen Zeit zum Schlafen zu geben, sollte die Norm in den GAV bei zwölf Stunden liegen, mit Ausnahmen, statt bei den zu kurzen neun Stunden.

Abschliessend fordert Gilbert alle Kolleginnen und Kollegen dazu auf, sich am feministischen Streik- und Protesttag vom 14. Juni zu beteiligen – damit Gleichstellung nicht nur ein Wort bleibt.

SEV-Präsident Matthias Hartwich erinnert an die vier Grundwerte, die seine Arbeit leiten: Solidarität, Transparenz, Respekt und Demokratie. «Wenn die Unternehmensleitung uns nicht respektiert und Kompromisse nicht möglich sind, dann werden wir notfalls auch streiken, um zu bekommen, worauf wir ein Anrecht haben», verdeutlicht er. Er kritisiert auch den Bundesrat, der für die Rettung der Banken ohne Zögern Milliarden von Franken aufbringt, aber gleichzeitig fast 8 Prozent beim regionalen Personenverkehr einsparen will.

Edith Graf-Litscher erinnert vor den Bus-Kolleg:innen an den langen, erfolgreichen Prozess, der vor acht Jahren mit einer Motion einer Tessiner Sektion des SEV und einer von über 9000 Personen unterzeichneten Petition begann und zur Abschaffung der Doppelbestrafung geführt hat. Berufsfahrerinnen und -fahrer werden also bei leichtem Verschulden nicht mehr in ihrer Arbeit eingeschränkt.

VPT-Vizepräsident René Schnegg geht auf die Entwicklung der Mitgliederzahlen beim Unterverband VPT ein: «Ich bin sehr stolz auf das, was wir 2022 erreicht haben. Ihr alle habt sensationelle Arbeit geleistet und habt unseren Dank verdient.» 2022 konnte der VPT in der Tat 952 neue Mitglieder werben, 306 mehr als im Vorjahr. Trotz einer hohen Anzahl von Austritten und Todesfällen bleibt die Nettobilanz positiv mit 219 mehr Mitgliedern. «Wir konnten den Trend seit 2018 umkehren», freut sich René.

Die Kolleginnen und Kollegen der Branche Bus nehmen schliesslich einstimmig eine von der Sektion SEV-TPG lancierte Resolution an. Demnach soll der SEV Druck auf den Schweizerischen Gewerkschaftsbund ausüben, damit dieser die Arbeitnehmenden im ganzen Land für die Verteidigung unserer Renten mobilisiert und diesen Herbst eine nationale Demonstration gegen die Rentenreform BVG 21 organisiert. «Der wahre Kampf geht um die Kaufkraft», sagt Vincent Leggiero, Präsident der Sektion SEV-TPG. «Die Produktivität ist in der Schweiz sehr hoch, aber sie füllt die Taschen der Bosse und der Unternehmen», mahnt er. In seiner Präsentation des Jahresprogramms für die Branche Bus 2023-24 betont er, dass der Vorstand mehr «basisnahe Gewerkschaftsarbeit» leisten und vor Ort über die Arbeitsbedingungen diskutieren wird. Er erinnert daran, wie schwierig es für die Unternehmen bereits heute ist, Fahr- und Unterhaltspersonal zu finden. «Der Personalmangel ist ein Fakt. Und die Unternehmen kündigen immer mehr an, dass sie von Diesel- auf Elektrobusse umsteigen werden. Aber sie denken nicht daran, dass damit komplett anders gearbeitet werden muss, vor allem in den Werkstätten, wo das Personal nicht für diesen Wandel geschult ist. Diese Entwicklung müssen wir genau beobachten».

Bessere Arbeitsbedingungen in der Branche Bus

An der Bus-Tagung spricht Christian Fankhauser, SEV-Vizepräsident, zum Thema «Bessere Arbeitsbedingungen». Zunächst erinnert er daran, dass angesichts der Inflation im Jahr 2022 die Ergebnisse der Lohnverhandlungen zwar gut waren, dass es aber in den meisten Unternehmen ohne Mobilisierung keinen Ausgleich gibt. Er warnt: «Auch in diesem Jahr muss der Teuerungsausgleich erkämpft werden, insbesondere nach der Ankündigung des Bundesrats, seine Subventionen für den regionalen Personenverkehr um 7,8 Prozent zu kürzen. Nur eine starke Mobilisierung der Kolleg:innen und ihre Teilnahme an den Gewerkschaftsversammlungen können uns Gewicht verleihen.»

Unterbesetzung und Personalmangel sind in vielen Branchen ein Problem, besonders aber im öV, wo sie zu Kursausfällen führen. Christian zeigt sich besorgt über die geringe Reaktion der Arbeitgeber auf diese neue Situation: «Sie führen eine Konsultation durch, deren Ergebnisse erst im November erwartet werden.» Die Lösungen seien indes bereits bekannt, erforderten aber vor allem politischen Willen: Verbesserung der Löhne, Steigerung der Attraktivität dieser Berufe für junge Menschen, die nicht mehr jeden Tag pro Woche, nachts und am Wochenende arbeiten wollen, als ob dies normal wäre und keine Auswirkungen auf das Familien- und Sozialleben hätte. Um junge Menschen und Frauen anzuziehen, müssen mehr Möglichkeiten für Teilzeitarbeit geschaffen und eine echte Fünf- oder eine Vier-Tage-Woche bei einem 100-Prozent-Pensum erreicht werden. «Eine Utopie? Lange, noch bis in die 1930er Jahre, galt die Idee des bezahlten Urlaubs oder des Acht-Stunden-Tages als Utopie», betont er. Zum Schluss kommt Christian auf die Frage der Gesundheit der Busfahrer:innen zurück, die gemäss der Umfrage mit Unisanté beeinträchtigt ist. Branchenlösungen würden es ermöglichen, alternative Arbeitsplätze zum Fahren zu finden, z. B. ein kantonaler «Stellenpool». Mit der Schaffung eines paritätischen Fonds für die öV-Branche könnten Massnahmen in den Bereichen Ausbildung, Weiterbildung, Versetzung oder Umschulung verwirklicht werden. Und sei es nur, um mit den Fortschritten der Digitalisierung und der Umstellung auf Elektrofahrzeuge Schritt zu halten. Ein Fonds könnte in einem ersten Schritt auf kantonaler Ebene angesiedelt sein.

Bahn und Touristik

Als zusätzlicher Gast an der Branchentagung Bahn und Touristik erläutert SEV-Gewerkschaftssekretär Jean-Pierre Etique die Eigenheiten des Arbeitszeitgesetzes (AZG) und weist auf besonders wichtige Gesetzesartikel hin. Insbesondere die Bestimmungen zur Pauseninfrastruktur wie (geschlechtergetrennte) Toiletten und Garderoben führen zu Diskussionen im Plenum. Demnach setzten nicht alle Unternehmen die Anforderungen korrekt um. Es bräuchte hier gemäss den Teilnehmenden mehr Druck auf die Unternehmen. Die Idee einer entsprechenden Resolution wird thematisiert und die Teilnehmenden beschliessen, diese an der nächsten Delegiertenversammlung im Juni zu verabschieden.

Jean-Pierre Etique betont, dass bei GAV-Verhandlungen auch die Arbeitszeit beziehungsweise die Regelung von Pausen und Freizeit eine wichtige Rolle spiele. Der SEV führt ein Kompetenzzentrum Arbeitszeit, das bei Verhandlungen unterstützt und den Mitgliedern bei allen Fragen zur Arbeitszeit zur Verfügung steht. Auch weist der AZG-Spezialist darauf hin, dass das Kompetenzzentrum einen gewerkschaftlichen Kommentar zum Gesetz verfasst und diesen für alle zugänglich gemacht hat (vorerst auf Deutsch und Französisch).

Die diesjährige Branchentagung Bahn und Touristik endet mit der Verdankung von Christoph Locher, der aus dem Branchenvorstand und dem VPT-Zentralvorstand austritt. Seine Nachfolge übernimmt Flavio Schmuki von der SOB, der an der Tagung einstimmig gewählt wird.

 

Yves Sancey / Chantal Fischer